Eurovision: Der bizarre Streit um Israels ESC-Beitrag »October Rain« (2024)

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Eurovision: Der bizarre Streit um Israels ESC-Beitrag »October Rain« (1)

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Unter der Überschrift »ESC Title and Values« in den Regeln für den Eurovision Song Contest findet sich die Klausel, die Jahr um Jahr zu Diskussionen führt: »Der ESC ist eine unpolitische Veranstaltung. Alle teilnehmenden Sendeanstalten (...) sind dafür verantwortlich, sicherzustellen, dass (...) der ESC in keinem Fall politisiert und/oder instrumentalisiert und/oder anderweitig in Verruf gebracht wird.«

Um diese Politikverbotsklausel hat sich nun eine skurrile Diskussion entsponnen. Sie dreht sich um Israel und den Song »October Rain«, mit dem das Land beim Eurovision Song Contest 2024 in Malmö teilnehmen will. Und um die Frage, ob Textstellen in diesem Lied möglicherweise zu »politisch« für den ESC sein könnten.

Möglich, so die Erwartungen im Vorfeld, dass sich »October Rain« auf die Anschläge der Hamas auf Israel bezieht. Aber stimmt das auch? Reproduzieren die Songzeilen wirklich politische Parolen? Und geht es im Streit tatsächlich um Lyrics –oder doch um etwas anderes?

Die Vorgeschichte des Streits

Nicht zum ersten Mal wird aktuell über die Teilnahme Israels am ESC diskutiert. Musikerinnen und Musiker aus dem Ausrichterland Schweden und anderen nordischen Ländern hatten bereits im Januar einen Ausschluss Israels als Krieg führende Nation gefordert – nach dem Vorbild Russlands 2022.

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Die Europäische Rundfunkunion (EBU) war diesen Wünschen bisher nicht nachgekommen: Noel Curran, der Generaldirektor der EBU, sagte, es sei nicht an der Europäischen Rundfunkunion, Kriege zu vergleichen. Entscheidend sei die Beziehung der öffentlichen Sender zur jeweiligen Regierung.

Demnach habe die russische Rundfunkanstalt mit den gemeinsamen Werten der EBU gebrochen –weil sie sich dem Staat zu sehr unterordne.

Israels Sender erfüllt Teilnahmeregeln

In Israel sei das Verhältnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Regierung hingegen grundlegend anders – nämlich staatsfern. Curran verwies darauf, dass die israelische Regierung in den vergangenen Jahren sogar mit der Schließung der Anstalt Kan gedroht hatte.

Die EBU hat nach eigenen Angaben die Voraussetzungen für eine Teilnahme Israels überprüft. Ihr Aufsichtsrat sei übereingekommen, dass »der israelische öffentliche Sender Kan auch in diesem Jahr alle Regeln des Wettbewerbs erfüllt und, wie in den vergangenen 50 Jahren auch, teilnehmen kann.«

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In der Castingshow »Hakochav Haba« (»Der nächste Star«) wurde nun die Sängerin Eden Golan als israelische Vertreterin beim ESC in Schweden ausgewählt. Die 20-Jährige überzeugte die Jury und die Zuschauer mit dem Lied »I Don’t Want To Miss A Thing« von Aerosmith, das sie nach ihrem Sieg erneut sang und dabei den im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln und deren Familien widmete.

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Golan lebt in Tel Aviv. Israelischen Medien zufolge verbrachte sie den größten Teil ihrer Kindheit in Russland, kehrte aber vor zwei Jahren zurück nach Israel. »Dieses Jahr freue ich mich mehr denn je darauf, mein Land auf der größten Bühne Europas zu vertreten«, sagte die Sängerin.

Den Song wählte der Sender Kan intern aus – bisher bekam ihn die Öffentlichkeit noch nicht zu hören.

Ein Lied, das niemand kennt

Das ließ die Diskussion, die seit Mitte der Woche in israelischen Medien aufkam, zunächst einigermaßen bizarr wirken. Die israelische Nachrichtenseite »ynet« hatte zuerst berichtet, dass die EBU den Beitrag mit dem Titel »October Rain« als politisch einstufe und deshalb darüber berate, ihn zu disqualifizieren.

Angeblich beziehe sich der Song auf das Massaker der islamistischen Hamas in Israel am 7. Oktober, bei dem mehr als 1200 Menschen getötet worden sind. Aber so genau wusste das niemand, das Lied war ja noch nicht zu hören. Dennoch positionierten sich maßgebliche Kräfte in der Debatte.

  • Der Veranstalter, die EBU in Genf, teilte auf Anfrage mit, dass man dabei sei, den Text zu prüfen. Dieser Prozess sei vertraulich, alle Länder hätten bis zum 11. März Zeit, ihre Songs einzureichen. »Wird ein Song aus irgendeinem Grund als inakzeptabel eingestuft, haben die Sender die Möglichkeit, einen neuen Song oder einen neuen Text gemäß den Regeln des Wettbewerbs einzureichen«, teilte die Pressestelle mit.

  • Der Sender Kan betonte, man habe nicht die Absicht, den Text des Songs zu ändern oder einen anderen Titel einzureichen, selbst wenn dies Israel die Teilnahme kosten sollte. Die Prüfung des eingereichten Liedes sei aber übliche Praxis, man stehe mit der EBU im Dialog.

  • Israels Kulturminister Miki Zohar äußerte sich auf seinem X-Account zu dem Thema. Die (angebliche) Absicht der Europäischen Rundfunkunion, das israelische Lied für den Eurovision Song Contest zu disqualifizieren nannte er »skandalös«. Der Likud-Politiker schrieb, es handele sich um »ein bewegendes Lied, das die Gefühle der Menschen und des Landes in diesen Tagen zum Ausdruck bringt und nicht politisch ist.« Zohar forderte die EBU auf, »weiterhin professionell und neutral zu agieren und die Kunst nicht von der Politik beeinflussen zu lassen.«

Georgien, Belarus und die Ukraine

Es gibt in der Vergangenheit durchaus schon Präzedenzfälle, in denen die EBU Lieder aufgrund der Politikverbotsklausel ausgeschlossen hat. 2009 wurde der georgische Beitrag »We Don’t Wanna Put In« nicht zugelassen. Georgien sagte daraufhin die Teilnahme am damals in Moskau ausgetragenen ESC ab.

2021 lehnte die EBU einen Beitrag aus Belarus ab, der nach Kritik an der Opposition im Lande klang. Nach dem ein anderer eingereichter Titel auch als gegen die Regeln verstoßend gewertet wurde, schloss die Rundfunkunion Belarus von der Teilnahme am ESC aus.

Andere Lieder, bei denen politische Anklänge schwer zu leugnen sind, wurden hingegen zugelassen. So hatten russische Politiker 2016 den späteren ukrainischen Siegertitel »1944«, der von der Deportation der Krimtataren in der Sowjetunion handelte, als zu politisch kritisiert. Nach Prüfung ließ die EBU den Song aber zu. 2023 steckte der kroatische Titel »Mama ŠČ!« von den Punkveteranen Let 3 voller Anspielungen auf die Machthaber in Russland und Belarus – er durfte starten.

Eurovision: Der bizarre Streit um Israels ESC-Beitrag »October Rain« (6)

Am Donnerstag wurde dann endlich ein wenig mehr bekannt über den israelischen Titel 2024. Die Zeitung »Israel Hayom« hatte erfahren, dass das Lied von Avi Ohion und Keren Peles komponiert und auf Betreiben von Kan vom Co-Songwriter des ESC-Siegertitels »Toy« von 2018, Stav Beger, überarbeitet wurde.

Der Song »October Rain« ist in englischer Sprache gehalten, nur die letzten Zeilen werden auf Hebräisch gesungen. An einer Stelle singt Eden Golan von »Flowers«, was auf europäische Hörer erst mal unverdächtig klingt – doch »Blumen« seien ein Codewort der IDF (der israelischen Streitkräfte) für gefallene israelische Soldaten.

Schräge Sprachbilder, deutliche Anspielungen

Abends veröffentlichte dann der Sender Kan den kompletten Songtext (lesen Sie unten die komplette englische Fassung). Demnach lässt sich sagen: Hätte man den Text gelesen, ohne zu wissen, von welchem Land er eingereicht wurde, hätte man vermutlich ob der schrägen Sprachbilder einige Fragezeichen im Kopf gehabt. Das ist nicht ungewöhnlich bei englischen ESC-Lyrics, die von Nichtmuttersprachlern getextet wurden.

Aber wäre man auf die Idee gekommen, dass es sich um einen Text zum 7. Oktober handelt? Wohl kaum.

Doch nimmt man den durch den Songtitel »October Rain« naheliegenden Kontext an, klingt eine Passage wie »writers of the history, stand with me« womöglich nach einer Aufforderung, sich der israelischen Sichtweise auf die Ereignisse anzuschließen. »Take me home« könnte sich auf die israelischen Geiseln der Hamas beziehen. »And I promise you that never again« dürfte auf ein »Nie wieder« zum Holocaust anspielen. Doch so platt politisch wie die ausgeschlossenen Beiträge von 2009 und 2021 ist das Lied sicher nicht.

Machen Sie sich selbst einen Eindruck vom Text zu »October Rain«:

Writers of the history
Stand with me
Look into my eyes and see
People go away but never say goodbye

Someone stole the moon tonight
Took my light
Everything is black and white
Who’s the fool who told you
Boys don’t cry

Hours and hours and flowers
Life is no game for the cowards
Why does time go wild
Every day I’m loosing my mind
Holding on in this mysterious ride

Dancing in the storm
We got nothing to hide
Take me home
And leave the world behind
And I promise you that never again
I’m still wet from this october rain
October Rain

Living in a fantasy
Ecstasy
Everything’s meant to be
We shall pass but love will never die

Hours and hours and flowers
Life is no game for the cowards
Why does time go wild
Every day I’m loosing my mind
Holding on in this mysterious ride

Dancing in the storm
We got nothing to hide
Take me home
And leave the world behind
And I promise you that never again
I’m still wet from this october rain
October Rain
October Rain

לא נשאר אוויר לנשום
אין מקום
אין אותי מיום ליום
כולם ילדים טובים אחד אחד

(There’s no air left to breath
There’s no space
I’m gone day by day
Everyone is good kids one by one)

Mit Material von AFP, dpa und Reuters

Eurovision: Der bizarre Streit um Israels ESC-Beitrag »October Rain« (2024)
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